2016 4. WiBoLT

Was wir hinter uns haben

4. WiBoLT 2016

Für den Abschluss der Frühjahrslaufsaison hatte ich mir etwas Besonderes vorgenommen, der Hexentanz im Harz bildete dazu praktisch den Trainingshöhepunkt: Ich wollte den WiBoLT, den Wiesbaden-Bonn-Landschaftstrail, auf dem Rheinsteig laufen. Von Wiesbaden bis Bonn folgt dieser dem Rheinsteig-Wanderweg über 320km. Und das nicht schön flach entlang des Rheinufers, sondern auf den Weinbergen und Höhenzügen entlang des Rheins, so dass auch gut 10.000 Höhenmeter anstanden.
Und dies alles war „Non-Stopp“ zu laufen. Das heißt nicht, dass man ohne Unterbrechung laufen sollte/musste/konnte, aber zur Bewältigung dieser Distanz standen von Mittwoch, 25.05., 18.00 Uhr bis Sonntag, 29.05., 12.00 Uhr, genau 90 Stunden zur Verfügung. Zur Unterstützung der Läufer gab es 14 Verpflegungsstationen, einige davon auch mit der Möglichkeit zur Übernachtung, zwei davon wiederum mit der Möglichkeit, einen selbst gepackten „Drop-Bag“ für Ausrüstung, Wechselwäsche und Verpflegung hinterlegen zu lassen und sich dann unterwegs davon zu bedienen.

Im Gegensatz zu früheren ultralangen Ultras hatte ich mir keinen konkreten Marschplan erstellt. Dazu hatte ich bei Distanzen, die deutlich mehr als 100km waren, einfach zu wenig Erfahrung, welche Geschwindigkeit man tatsächlich halten und durchstehen konnte. Fest stand jedoch, dass ich das erste Drittel der Strecke mit dem Bremer Ultrafriesen Winfried B. zusammen absolvieren wollte und wir die Sache äußerst langsam angehen wollten. Nur bei langsamen, aber stetigem Vorkommen rechnete ich mir eine Chance aus, das Ziel zu sehen. Durch das langsame Laufen wollten wir unsere Fettverbrennung vergleichsweise stark strapazieren (schließlich sollten Unmengen an Kalorien verbraucht werden und die natürliche Nahrungsaufnahme hatte doch auch Grenzen), und natürlich wollten wir auch keine orthopädischen Probleme herauf beschwören.
Streckenbriefing in Wiesbaden
Los geht's...vorbei am Schloß Biebrich in Wiesbaden
Der Start in Wiesbaden am Schloss Biebrich verlief unspektakulär. Die Menge an Läufern setzte sich vergleichsweise langsam in Bewegung und erklomm, Wiesbaden verlassend, die ersten Weinberge des Rheingaus. Winfried und ich waren guter Dinge, erreichten den ersten kleinen Verpflegungspunkt in der Gemeinde Schlangenbad und liefen dann durch die Nacht.
In den Weinbergen des Rheingaus...
Müdigkeit kam bei mir nicht auf, zu sehr musste man auf die Wegmarkierungen und den Weg an sich achten. Bis zum zweiten Verpflegungspunkt beim Niederwalddenkmal (Kilometer 55), mit Blick auf das nächtliche Bingen mit dem Mäuseturm, ging es recht gut voran. Trotz gewisser Steigungen war die Strecke bis dahin recht einfach zu laufen gewesen, und das Laufen durch die Nacht, mit den Lichtern der Ortschaften entlang des Rheins unterhalb, hatte seinen Reiz.
Immer dem Rhein entlang...
Ich hatte das Gefühl, die eigentliche Strecke begann erst nach Rüdesheim. Mit Ende des Rheingaus und Beginn des Mittelrheintals schien der Rheinsteig wirklich jeden Berg, aber auch jedes Tal, mitzumachen. Aber wir ließen uns nicht beirren, in der Ebene und bergabwärts liefen wir, bergauf wurde marschiert. Sofern die teils steinigen Wege, mit stellenweise zusätzlicher Absicherung, dies zuließen. Zudem hing in den nunmehr frühen Morgenstunden der Nebel im Rheintal und trübte teilweise die Sicht deutlich, weil der Nebel das Licht der Stirnlampen reflektierte.
Morgennebel im Rheintal
Erwischt!!!
Bei Kilometer 75 erreichten wir den Weinort Lorch, wo es die nächste Verpflegung gab. Auch manchen anderen Läufern, die dort rasteten, war die Strecke anzusehen. Von Lorch ging es mal wieder einige gute Höhenmeter bergauf. Da Winfried doch langsamer war als ich, entschlossen wir uns bei Kilometer 80, getrennt weiterzulaufen. Zu sehr machte ich mir Sorgen, zeitlich in Verzug zu geraten. Wir hatten ohnehin das Zusammenlaufen nie als „Muß“ gesehen, sondern immer nur als Ansatz, der einen Zieleinlauf von uns beiden wahrscheinlicher machte, indem mach sich gegenseitig unterstützte, sich zusammen weniger oft verlief, sich nachts wach hielt, etc.
Steinige Wege
Aussicht auf den Rhein
So erreichte ich Kaub mit der Burg Gutenfels und der „Pfalz im Rhein“ und kam wiederum sehr gut voran. Es war sehr warm und sonnig geworden, mein Getränkevorrat war schon vor dem nächsten Verpflegungspunkt bei der Loreley vollständig aufgebraucht, und ich lief die restlichen Kilometer „trocken“.
Hier, bei der Loreley, wo ich nach 105 Kilometern nachmittags eintraf, war der erste große Übernachtungspunkt, und die erste Drop-Bag Station. Mein Plan war jedoch, noch Oberkestert, den nächsten Verpflegungspunkt, bei Tageslicht zu erreichen. Warum sollte ich mich hinlegen, wenn ich doch fit war und ich auch bei Tag schneller voran kam? Die 19 folgenden Kilometer waren hart erkämpft, es schien nur hoch oder runter zu gehen, auch auf sehr felsigen Wegen. Ein Glück, diese bei Tag angegangen zu sein!
Immer wieder gab es Burgen zu bestauen... und zu erklimmen...
In Oberkestert war „Uschi’s Wanderstation“, dort konnte ausgiebig gegessen und getrunken werden und dort standen auch 10 Betten für die Läufer zur Verfügung. Allerdings war natürlich mein Drop-Bag in der Loreley geblieben. Mein Plan ging auf, ich legte mich für knapp 3 Stunden schlafen und war dann kurz vor 1 Uhr wieder auf dem Weg. Beim Schlafen pochte der Regen gegen die Uschi’s Dachfenster, aber es hatte nicht zu sehr geregnet und von oben kam (erstmal) nichts. Bis zum nächsten Verpflegungspunkt in 12 Kilometer Entfernung wollte ich, auch, um mich nicht in der Nacht zu verlaufen, nicht laufen, sondern stramm wandern. Und mir immer einprägen, wann ich das letzte Rheinsteig-Symbol gesehen hatte.
Ich erreichte den Verpflegungspunkt Kamp-Bornhofen gerade noch rechtzeitig, als ein gehöriger Wolkenbruch zuschlug. So konnte ich im Trockenen, bei Kaffee und Kuchen, ausharren, bis der Regen nachließ. Loslaufen wollte ich so nicht, ich wäre innerhalb kurzer Zeit durch und durch nass gewesen.
Immer wieder schöne Trails...
Nach einer dreiviertel Stunden ließ der Regen nach und ich wagte mich wieder auf die Strecke. Noch war es dunkel, aber der Tag brach so langsam an, unter mir der Rhein, und über mir dicke Wolken. Das kurze, trockene Intermezzo wich einem kontinuierlichen Landregen. Und es regnete und regnete, nicht stark, aber beständig! Ich zwang mich, voran zu kommen, um nicht zu frieren, was gut klappte. Bei Boppard (auf der anderen Rheinseite) machte der Fluss einen Schlenker Richtung Westen, den der Rheinsteig auf schmalen Single-Pfaden folgte (obwohl man so schön hätte abkürzen können!), und durch das nasse, hohe Gras links und rechts des Weges war ich dann endgültig durch und durch nass. Auch die Wechselkleidung in meinem Laufrucksack hatte sich vollgesogen und sorgte für ein zusätzliches Handicap.
Braubach mit Marksburg
Von weitem konnte ich den Ort Braubach, der ein etwa auf der Hälfte der Strecke lag, mit der markanten Marksburg, ausmachen. Bergab rutschte ich auf den durchweichten Böden aus und fiel hin, zum Glück ohne größere Blessuren. Allerdings machte sich nun ein anderes Problem mehr und mehr schmerzhaft bemerkbar: Dadurch, dass ich über mehrere Stunden so durchnässt war, hatte ich mich wundgelaufen!
Ich erreichte Braubach und den dortigen VP. Ich lief dann noch ein paar Kilometer weiter. Jedoch machte ich dann kurz vor Lahnstein, etwa bei Kilometer 170, einen Schnitt, konnte mit den Schmerzen so nicht die verbleibende Strecke weiterlaufen und riskieren, dass es noch schlimmer wurde. Ich rief Michael, den Veranstalter, an und machte mich per Bahn und Bus auf zum zweiten, großen Übernachtungs-VP in Neuwied-Feldkirchen. Dort konnte ich noch etwas Laufatmosphäre schnuppern, mich mit anderen ausgeschiedenen Läufern und Betreuern unterhalten und in Ruhe schlafen. Das Projekt WiBoLT war aber dennoch genial! Rückkehr an den Rhein für nächstes Jahr nicht ausgeschlossen!
PS: Leider haben es Winfried und mehr als die Hälfte der Starter auch nicht bis ans Ziel geschafft. Aber es gibt doch einige Wiederholungstäter, die Jahr für Jahr einen neuen Versuch wagen, die 320km von Wiesbaden nach Bonn in 90 Stunden zu knacken. Ich für meinen Teil hatte eine geniale Zeit am Rhein, viele interessante Begegnungen und habe auch einiges an Erfahrung gesammelt, die für die Bewältigung solcher Distanzen einfach unerlässlich ist.

Stefan S.