2016 Hexentanz-Lauf Harz

Was wir hinter uns haben 

Ein Bericht, oder sollte man es besser "Heldensaga" nennen, von Stefan S., unserem Ultra:

Schon im Dezember fragte mich Winfried B., ein Bremer Ultrafriese, mit dem ich schon einige Lauf-Kilometer absolviert habe, ob ich nicht Lust zum Hexentanz hätte. Ich wollte schon lange mal bei einem Event des Meldeläufers Michael Frenz mitlaufen, und ich kannte selber den Harz (als Süddeutscher) noch überhaupt nicht, noch dazu passte der Lauf in meine grobe Laufplanung, von daher kostete es (vor allem, da noch viel Zeit zum „Vorbereiten“ war) nicht allzuviel Überwindung, mich anzumelden.
Hexentanz-Lauf??? Das ist der „kleine Bruder“ oder Bambini-Lauf vom Hexenstieg-Ultra (219km), der einmal von Westen (Osterode) nach Osten (Thale) und dann wieder zurück nach Westen, überwiegend auf dem Hexenstieg-Wanderweg und diversen Nebenrouten, geht. Beim Hexentanz ging es „nur“ von Osten nach Westen, aber bei dieser Harzdurchquerung dann doch auch 104km zu bewältigen.  Aber es geht um mehr als Laufen! Bei den Distanzen mit den Höhenmetern war das (mir zumindest) sowieso nicht durchgängig möglich, sondern es ging auch um das Naturerlebnis, die Planung, die Auseinandersetzung mit den Bedingungen, und vielem mehr.
Je näher der Termin heranrückte, um so größer war der Respekt vor der Strecke. Noch dazu „optimierte“ der Veranstalter die Strecke etwas, es kamen noch 5km dazu, die über den Wurmberg bei Braunlage führen sollten. Das ultrafriesische Team war mittlerweile auf 3 Läufer angewachsen, die mich freitags „ab Werk“ abholten, so dass wir pünktlich zum Abendessen in Osterode und dem verpflichtenden Streckenbriefing von Michael Frenz da waren. Sogar ein kleiner Stadtrundgang hatte noch Platz im Programm.
Streckenbriefing am Vorabend durch Organisator Michael Frenz
Das Abendessen im Hotel „Harzer Hof“, welches dieses Wochenende ausschließlich durch die Teilnehmer der Ultraläufe belegt war, war ausgezeichnet und das Streckenbriefing durch Meldeläufer Michael Frenz kurzweilig und informativ. Man merkte einfach anhand seiner Anmerkungen, Beschreibungen und Tipps, dass er wusste, wovon er sprach und worauf zu achten ist. Kein Wunder, er hat selber ja auch die ausgefallendsten Ultras gefinisht (unter vielen anderen etwa das Spine Race in Großbritannien über 268 Meilen!!!). Zeitig ging es ins Bett, wir hatten ja Großes vor. Die „Hexenstiegler“ waren bereits einen Tag auf der Strecke.
Essen fassen :)
Nach einem anständigen Frühstück ging es per Bus zum Start des Hexentanzes in Thale. Leider hatte mittlerweile eine Kaltfront zugeschlagen und das herrlich warme Frühlingswetter unserer Anfahrt war einem trüben und wechselhaften Aprilwetter mit deutlich niedrigeren Temperaturen gewichen. Es musste in der kommenden Nacht wohl auch mit Schneefall gerechnet werden. Mit Michael Irrgang, Sportwart der DUV, war das Meldeläufer-Veranstaltungsteam professionell besetzt. Er prüfte vor der Busabfahrt gewissenhaft, ob alle Läufer tatsächlich auch im Bus waren.
In Thale wartete wiederum Michael Frenz auf uns und es gab dann noch letzte Instruktionen. Der Lauf begänne erst so richtig nach Kilometer 46 „nach der ersten richtigen Verpflegungsstelle“ und dem Anstieg auf trailigen Wegen auf den Wurmberg. Tolle Aussichten! Aber deswegen waren wir ja hier!
Da alle Läufer schon vorzeitig am Start waren, erfolgte der Startschuss schon eine halbe Stunde eher. Kein Grund zur Beschwerde, damit hatte man eine halbe Stunde länger Tageslicht für den Lauf, den die meisten wohl erst im Laufe der Nacht beenden würden. Zudem war die Strecke nicht separat markiert, man folgte überwiegend einem GPX-Track und nur abschnittsweise bzw. teilweise gar nicht dem Hexenstieg-Wanderweg bzw. seinen Nebenstrecken. Von daher begrüßte wohl jeder diesen früheren Start.
OK, für mich begann der Hexentanz doch schon recht schnell mit dem Anstieg von Thale auf den Hexentanzplatz. Die schnellen Läufer waren bald außer Sichtweite, die langsameren waren doch einige Kilometer als Grüppchen unterwegs. Schon beim ersten Aufstieg herrschte allgemeine Unsicherheit bezüglich der Strecke und ich vermute, wir lagen ein wenig daneben, aber die Richtung stimmte grob, bergaufwärts.
Erster Anstieg auf den Hexentanzplatz
Nach dem ersten Anstieg auf den Hexentanzplatz verlief die Strecke relativ eben und wie angekündigt auf breiten, gut ausgebauten Forst- und Waldwegen. Nach einer schönen Aussicht über das Bodetal ging es auf kleinen Pfaden abwärts ins Bodetal.
Ausblick auf das Bodetal
Der Weg schlängelte sich entlang der Bode, vorbei an vergitterten, historischen Bergwerksschächten, und der erste kleine VP im Hotel Bodeblick versorgte mit dem Nötigsten. Ich nahm mir vor allem Wasser mit, ich hatte mir das zusätzliche Gewicht einer vollen Trinkblase die ersten 11km gespart, aber bis zum nächsten inoffiziellen Verpflegungspunkt, eine Tankstelle in Hasselfelde, waren es 15km.
Bergab ins Bodetal...
Bis dahin wechselten Äcker und Wald ab, die Strecke blieb relativ leicht zu laufen, weitgehend auf den bekannten, breiten Forstwegen. Die Ultrafriesen hatte ich aus den Augen verloren, aber immer wieder waren andere Läufer zu sehen. In Hasselfelde ging es nach einem kurzen Truck-Stopp an der besagten Tankstelle weiter Richtung Westen, und wieder ging es in den Wald hinein. Dort warteten an der Rappbodetalsperre urige Single-Trails mit schönen Aussichtspunkten.
Trails an der Rappbodetalsperre
Bei Kilometer 46, nach dem Örtchen Königshütte, wartete der erste „richtige“ Verpflegungspunkt auf mich, beim Hotel Grüne Tanne. Ein Streckenbetreuer hielt schon Ausschau nach weiteren Läufern und rief mir kurz zu, wo nach der nächsten Abzweigung ich den VP finden würde. Ich hatte nicht ganz so genau zugehört, der VP musste doch zu finden sein, rechts war das Hotel, links der Parkplatz, gerade herrschte wuseliges Treiben dort durch eine feierliche Festgesellschaft, aber ich folgte dem Weg, da musste doch der VP kommen. Weit gefehlt, da kam nichts! Ich war vorbei und schaute, rief, lief zurück, und verdadellte so meine Zeit und wertvolle Kraft. Schließlich fand sich der VP, und ich wurde mit leckerer Pasta belohnt und nahm wieder Getränke auf. Beim Ausruhen machte sich die Kälte bemerkbar, aber das Team hatte bereits Decken für die Läufer zur Hand.
Weiter ging’s in Richtung dem Örtchen Elend. Von dort an sollte ja der Lauf beginnen! Ja, und danach ging es wirklich bergauf! Ich fand abzweigend von der Kalten Bode zuerst auch nicht den rechten Ein- bzw. Aufstieg, aber als ein Hinweisschild „Barenberg (steiler Aufstieg)“ auswies, wusste ich endgültig, dass ich richtig war. Dieser steile Anstieg auf mit Tannennadeln gespickten Wegen, die kaum als solche auszumachen sind, hatte Michael Frenz ja extra erwähnt. War natürlich steil, aber ich wusste ja, dass die Steigungen nicht mehr als 300 Höhenmeter hatten und war deswegen nicht allzu deprimiert. Oben warteten auch die Schnarcherklippen auf die Läufer, und auf steinigen Trails ging es Richtung Wurmberg.
Eine der Schnarcherklippen
Nach kontinuierlichen Anstiegen tauchte die Wurmbergschanze auf, zur linken Hand davon windete sich ein Serpentinenweg bergaufwärts. Schon auf diesem Weg, aber auch ganz oben, hatte man grandiose Ausblicke auf den Brocken und die umliegenden Berge, sowie auf Braunlage. Von Westen sah man eine dicke dunkle Wolke heranziehen, die einen Vorhang aus Niederschlag durch die Landschaft zog. Oben auf dem Wurmberg blies auch ein kalter Wind, also ließ ich es, wie Michael Frenz empfohlen hatte, auf der Skiabfahrt Richtung Braunlage „rollen“. Nur um die Schneefelder machte ich einen Bogen, nachdem meine Füße auf dem ersten, welches ich noch passierte, nicht immer einen festen Halt fanden.
Aufstieg auf den Wurmberg mit Blick auf die Schanze und den Brocken im Hintergrund
Kurzandacht auf dem Wurmberg...:
"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt meine Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat..." (Psalm 121, 1-2)
In und um Braunlage herrschte Schneetreiben in der Abendsonne, die dicke Wolke hatte mich erreicht. In einer kleinen Schutzhütte machte ich kurz Rast, holte Mütze und Handschuhe raus, sowie das Ladekabel und einen kleinen Batteriepack für meine GPS-Uhr. Ich hatte den schwierigsten Teil dieses Abschnitts hinter mir und bis zum nächsten VP wollte ich meine GPS-Uhr für die Nacht während des Laufs aufladen. Nicht auszudenken, wenn diese Nachts die Grätsche machen würde!!!
Seit Hasselfelde hatte ich keinen Mitläufer mehr gesehen, um so mehr freute ich mich, nach ein paar Kilometern etwas Bewegung vor mir ausmachen. Es war Carlos (aus Südamerika), ein Hexenstiegler, dessen Beine nicht mehr mitmachten und der sich mit Hilfe von zwei Stöcken, die er im Wald gefunden hatte, langsam fortbewegte. Ich blieb eine Weile bei ihm, mein Angebot, meine lange Laufhose auszuleihen (er lief mit kurzen Hosen, was gegen Abend langsam einfach zu kalt wurde, besonders eben, wenn man sich nur noch langsam fortbewegen konnte) schlug er dann doch nach reiflicher Überlegung aus. Als ich mir sicher war, dass er trotz der langsamen Geschwindigkeit gut vorwärtskam, lief ich weiter. Ein Flußtal, zuerst runter, dann auf der anderen Seite wieder rauf, noch ein paar Kilometer, dann war der zweite große VP des Laufs, der VP Jordanhöhe, erreicht. Dort warteten schon beide Michaels, Michael Frenz war über Carlos‘ Zustand bereits auf dem Laufenden, und in einem gemütlichen Tipi aus Holz konnte man sich beim Lagerfeuer aufwärmen und sich vom Team des VP verpflegen lassen. Zudem hatte ich hier meinen Drop-Pack mit zusätzlicher Ausrüstung deponieren lassen und ich lege noch eine zusätzliche wärmende Schicht auf, dazu holte ich auch noch meine extra starke Stirnlampe raus.
Schneetreiben in der Sonne bei Braunlage
Das Weiterlaufen fiel schwer, es war Nacht geworden. Aber nun war es nicht mehr weit, nur etwas weniger als ein Marathon war noch zu laufen. Und das härteste Stück lag hinter mir. Ich hatte mich doch rund eine Viertelstunde in dem Tipi zum Essen, Ausruhen und Umziehen aufgehalten. Meine GPS-Uhr war mittlerweile wieder voll aufgeladen und ich hatte das lästige Ladekabel wieder verpacken können. Nicht bewusst war mir aber, dass die Uhr durch meinen Tipi-Aufenthalt die Satellitenverbindungen verloren hatte und mir die ersten Kilometer einige Streiche gespielt hatte. Das führte dazu, dass ich einmal zu scharf rechts abgebogen bin und dort auf einem breiten, abschüssigen Waldweg gut vorwärtskam, bis ich nach eineinhalb Kilometer feststellen musste, dass ich falsch war. Ein Blick auf die Karte zeigte mir, dass es nicht unbedingt Wege zurück zur Strecke gab und so musste ich die eineinhalb Kilometer wieder zurück, diesmal bergauf. Ich wollte auch aus Sicherheitsgründen auf dem eigentlichen Weg bleiben.
Team am VP Jordanshöhe
Wieder oben gab es einen schönen, einfach zu laufenden, flachen Streckenabschnitt bis zum Oderteich. Der Mond war aufgegangen und fast voll, was auch ein wenig half. Nach der Talsperre sah ich ein paar hundert Meter vor mir immer wieder die Stirnlampen anderer Läufer, die wohl nach mir von der Jordanshöhe gestartet waren. Ich sah Ihre Fußspuren auf den Brücken über kleine Bäche oder auf den Holzplanken, die man über sehr matschige Wegpassagen gelegt hatte. Ich musste sie doch gleich haben. Da vorne waren sie doch! Da war es hell!!! Aber nein! Es war der Mond, der mich irritierte. Aber der Mond war im Süden, ich musste doch Richtung Nordwesten. Mist, tatsächlich hatte ich mich von der vermeintlichen Aufholjagd ablenken lassen und eine falsche Abzweigung genommen, wieder 500 Meter zu viel, und nochmal zurück.
Es kam der letzte Anstieg, auf die Wolfswarte. Steinige Wege ließen das Vorwärtskommen schwer werden. Oben wehte ein kalter Wind, so dass ich die Aussicht über die Lichter der Dörfer in der Umgebung kaum genießen konnte. Bei der Stempelstelle auf dem Gipfel musste ich als Beleg, dass ich nicht unzulässig diesen Teil der Strecke abkürzte, das Übersichtsblatt mit den Streckeninfos von Michael mit dem Wolfswarte-Stempel versehen.
Im vorletzten VP, im Gartenhäuschen des Hotels Sachsenross in Altenau, habe ich dann wieder zu einigen Läufern aufgeschlossen. Leider waren sie mir dann doch etwas zu schnell, und ich musste sie am Ortsausgang davon ziehen lassen. Sehr schade, mit ihrem Geleit hätte ich dann noch zwei ausgiebige Verlaufer vermeiden können. Der GPX-Track des Veranstalters war wesentlich genauer als mein Orientierungssinn, auf den ich mich (zumindest tagsüber) gut verlassen konnte.
Schließlich fand ich doch noch den Weg nach Clausthal-Zellerfeld und war über die innerörtlichen Steigungen sehr überrascht (wobei eine schon als „Wand“ angekündigt war). Den letzten VP dort sah ich nicht und aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit und ausreichender Trink-Reserven machte ich mich auch nicht auf die Suche.
Die letzten Kilometer nach Osterode standen an und zogen sich. Noch ein paar Mal schickte mich die Strecke auf nette Single Trails, die zum Teil auch noch schwer zu laufen waren. Aber man sah schon die Vororte. Ich war dann froh, dass ich es bei beginnendem Vogelzwitschern dann doch im Rahmen der Cut-Off-Zeit geschafft habe. Durch die Verlaufer waren doch fast 125 Kilometer (statt der 109) zusammengekommen!!! Für das nächste Unternehmen dieser Art sollte ich wohl doch technisch aufrüsten.

Stefan S.