Was wir hinter uns haben
Ein Bericht, oder sollte man es besser "Heldensaga" nennen, von Stefan S., unserem Ultra:
Schon im Dezember fragte mich Winfried B., ein Bremer
Ultrafriese, mit dem ich schon einige Lauf-Kilometer absolviert habe, ob ich
nicht Lust zum Hexentanz hätte. Ich wollte schon lange mal bei einem Event des Meldeläufers
Michael Frenz mitlaufen, und ich kannte selber den Harz (als Süddeutscher) noch
überhaupt nicht, noch dazu passte der Lauf in meine grobe Laufplanung, von
daher kostete es (vor allem, da noch viel Zeit zum „Vorbereiten“ war) nicht
allzuviel Überwindung, mich anzumelden.
Hexentanz-Lauf??? Das ist der „kleine Bruder“ oder
Bambini-Lauf vom Hexenstieg-Ultra (219km), der einmal von Westen (Osterode)
nach Osten (Thale) und dann wieder zurück nach Westen, überwiegend auf dem
Hexenstieg-Wanderweg und diversen Nebenrouten, geht. Beim Hexentanz ging es
„nur“ von Osten nach Westen, aber bei dieser Harzdurchquerung dann doch auch
104km zu bewältigen. Aber es geht um
mehr als Laufen! Bei den Distanzen mit den Höhenmetern war das (mir zumindest) sowieso
nicht durchgängig möglich, sondern es ging auch um das Naturerlebnis, die
Planung, die Auseinandersetzung mit den Bedingungen, und vielem mehr.
Je näher der Termin heranrückte, um so größer war der Respekt
vor der Strecke. Noch dazu „optimierte“ der Veranstalter die Strecke etwas, es
kamen noch 5km dazu, die über den Wurmberg bei Braunlage führen sollten. Das
ultrafriesische Team war mittlerweile auf 3 Läufer angewachsen, die mich
freitags „ab Werk“ abholten, so dass wir pünktlich zum Abendessen in Osterode und
dem verpflichtenden Streckenbriefing von Michael Frenz da waren. Sogar ein kleiner Stadtrundgang hatte noch
Platz im Programm.
Streckenbriefing am Vorabend durch Organisator Michael Frenz |
Das Abendessen im Hotel „Harzer Hof“, welches dieses
Wochenende ausschließlich durch die Teilnehmer der Ultraläufe belegt war, war
ausgezeichnet und das Streckenbriefing durch Meldeläufer Michael Frenz
kurzweilig und informativ. Man merkte einfach anhand seiner Anmerkungen,
Beschreibungen und Tipps, dass er wusste, wovon er sprach und worauf zu achten
ist. Kein Wunder, er hat selber ja auch die ausgefallendsten Ultras gefinisht
(unter vielen anderen etwa das Spine Race in Großbritannien über 268 Meilen!!!).
Zeitig ging es ins Bett, wir hatten ja Großes vor. Die „Hexenstiegler“ waren
bereits einen Tag auf der Strecke.
Essen fassen :) |
Nach einem anständigen Frühstück ging es per Bus zum Start
des Hexentanzes in Thale. Leider hatte mittlerweile eine Kaltfront
zugeschlagen und das herrlich warme Frühlingswetter unserer Anfahrt war einem
trüben und wechselhaften Aprilwetter mit deutlich niedrigeren Temperaturen
gewichen. Es musste in der kommenden Nacht wohl auch mit Schneefall gerechnet
werden. Mit Michael Irrgang, Sportwart der DUV, war das
Meldeläufer-Veranstaltungsteam professionell besetzt. Er prüfte vor der
Busabfahrt gewissenhaft, ob alle Läufer tatsächlich auch im Bus waren.
In Thale wartete wiederum Michael Frenz auf uns und es gab dann
noch letzte Instruktionen. Der Lauf begänne erst so richtig nach Kilometer 46
„nach der ersten richtigen Verpflegungsstelle“ und dem Anstieg auf trailigen
Wegen auf den Wurmberg. Tolle Aussichten! Aber deswegen waren wir ja hier!
Da alle Läufer schon vorzeitig am Start waren, erfolgte der
Startschuss schon eine halbe Stunde eher. Kein Grund zur Beschwerde, damit
hatte man eine halbe Stunde länger Tageslicht für den Lauf, den die meisten
wohl erst im Laufe der Nacht beenden würden. Zudem war die Strecke nicht
separat markiert, man folgte überwiegend einem GPX-Track und nur abschnittsweise
bzw. teilweise gar nicht dem Hexenstieg-Wanderweg bzw. seinen Nebenstrecken. Von daher begrüßte wohl jeder diesen früheren Start.
OK, für mich begann der Hexentanz doch schon recht schnell
mit dem Anstieg von Thale auf den Hexentanzplatz. Die schnellen Läufer waren
bald außer Sichtweite, die langsameren waren doch einige Kilometer als
Grüppchen unterwegs. Schon beim ersten Aufstieg herrschte allgemeine
Unsicherheit bezüglich der Strecke und ich vermute, wir lagen ein wenig
daneben, aber die Richtung stimmte grob, bergaufwärts.
Erster Anstieg auf den Hexentanzplatz |
Nach dem ersten Anstieg auf den Hexentanzplatz verlief die
Strecke relativ eben und wie angekündigt auf breiten, gut ausgebauten Forst-
und Waldwegen. Nach einer schönen Aussicht über das Bodetal ging es auf kleinen
Pfaden abwärts ins Bodetal.
Ausblick auf das Bodetal |
Der Weg schlängelte sich entlang der Bode, vorbei
an vergitterten, historischen Bergwerksschächten, und der erste kleine VP im
Hotel Bodeblick versorgte mit dem Nötigsten. Ich nahm mir vor allem Wasser mit,
ich hatte mir das zusätzliche Gewicht einer vollen Trinkblase die ersten 11km gespart, aber bis zum nächsten inoffiziellen Verpflegungspunkt, eine
Tankstelle in Hasselfelde, waren es 15km.
Bergab ins Bodetal... |
Bis dahin wechselten Äcker und Wald ab, die Strecke blieb
relativ leicht zu laufen, weitgehend auf den bekannten, breiten Forstwegen. Die
Ultrafriesen hatte ich aus den Augen verloren, aber immer wieder waren andere
Läufer zu sehen. In Hasselfelde ging es nach einem kurzen Truck-Stopp an der
besagten Tankstelle weiter Richtung Westen, und wieder ging es in den Wald
hinein. Dort warteten an der Rappbodetalsperre urige Single-Trails mit schönen
Aussichtspunkten.
Trails an der Rappbodetalsperre |
Bei Kilometer 46, nach dem Örtchen Königshütte, wartete der
erste „richtige“ Verpflegungspunkt auf mich, beim Hotel Grüne Tanne. Ein
Streckenbetreuer hielt schon Ausschau nach weiteren Läufern und rief mir kurz
zu, wo nach der nächsten Abzweigung ich den VP finden würde. Ich hatte nicht ganz
so genau zugehört, der VP musste doch zu finden sein, rechts war das Hotel,
links der Parkplatz, gerade herrschte wuseliges Treiben dort durch eine
feierliche Festgesellschaft, aber ich folgte dem Weg, da musste doch der VP
kommen. Weit gefehlt, da kam nichts! Ich war vorbei und schaute, rief, lief
zurück, und verdadellte so meine Zeit und wertvolle Kraft. Schließlich fand
sich der VP, und ich wurde mit leckerer Pasta belohnt und nahm wieder Getränke
auf. Beim Ausruhen machte sich die Kälte bemerkbar, aber das Team hatte bereits
Decken für die Läufer zur Hand.
Weiter ging’s in Richtung dem Örtchen Elend. Von dort an sollte ja der
Lauf beginnen! Ja, und danach ging es wirklich bergauf! Ich fand abzweigend von der
Kalten Bode zuerst auch nicht den rechten Ein- bzw. Aufstieg, aber als ein
Hinweisschild „Barenberg (steiler Aufstieg)“ auswies, wusste ich endgültig,
dass ich richtig war. Dieser steile Anstieg auf mit Tannennadeln gespickten
Wegen, die kaum als solche auszumachen sind, hatte Michael Frenz ja extra
erwähnt. War natürlich steil, aber ich wusste ja, dass die Steigungen nicht mehr
als 300 Höhenmeter hatten und war deswegen nicht allzu deprimiert. Oben
warteten auch die Schnarcherklippen auf die Läufer, und auf steinigen Trails
ging es Richtung Wurmberg.
Eine der Schnarcherklippen |
Nach kontinuierlichen Anstiegen tauchte die Wurmbergschanze
auf, zur linken Hand davon windete sich ein Serpentinenweg bergaufwärts. Schon
auf diesem Weg, aber auch ganz oben, hatte man grandiose Ausblicke auf den
Brocken und die umliegenden Berge, sowie auf Braunlage. Von Westen sah man eine
dicke dunkle Wolke heranziehen, die einen Vorhang aus Niederschlag durch die
Landschaft zog. Oben auf dem Wurmberg blies auch ein kalter Wind, also ließ ich
es, wie Michael Frenz empfohlen hatte, auf der Skiabfahrt Richtung Braunlage
„rollen“. Nur um die Schneefelder machte ich einen Bogen, nachdem meine Füße
auf dem ersten, welches ich noch passierte, nicht immer einen festen Halt
fanden.
Aufstieg auf den Wurmberg mit Blick auf die Schanze und den Brocken im Hintergrund |
Kurzandacht auf dem Wurmberg...: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt meine Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat..." (Psalm 121, 1-2) |
In und um Braunlage herrschte Schneetreiben in der
Abendsonne, die dicke Wolke hatte mich erreicht. In einer kleinen Schutzhütte
machte ich kurz Rast, holte Mütze und Handschuhe raus, sowie das Ladekabel und
einen kleinen Batteriepack für meine GPS-Uhr. Ich hatte den schwierigsten Teil
dieses Abschnitts hinter mir und bis zum nächsten VP wollte ich meine GPS-Uhr
für die Nacht während des Laufs aufladen. Nicht auszudenken, wenn diese Nachts
die Grätsche machen würde!!!
Seit Hasselfelde hatte ich keinen Mitläufer mehr gesehen,
um so mehr freute ich mich, nach ein paar Kilometern etwas Bewegung vor mir
ausmachen. Es war Carlos (aus Südamerika), ein Hexenstiegler, dessen Beine
nicht mehr mitmachten und der sich mit Hilfe von zwei Stöcken, die er im Wald
gefunden hatte, langsam fortbewegte. Ich blieb eine Weile bei ihm, mein Angebot,
meine lange Laufhose auszuleihen (er lief mit kurzen Hosen, was gegen Abend langsam
einfach zu kalt wurde, besonders eben, wenn man sich nur noch langsam
fortbewegen konnte) schlug er dann doch nach reiflicher Überlegung aus. Als
ich mir sicher war, dass er trotz der langsamen Geschwindigkeit gut
vorwärtskam, lief ich weiter. Ein Flußtal, zuerst runter, dann auf der
anderen Seite wieder rauf, noch ein paar Kilometer, dann war der zweite große
VP des Laufs, der VP Jordanhöhe, erreicht. Dort warteten schon beide Michaels,
Michael Frenz war über Carlos‘ Zustand bereits auf dem Laufenden, und in einem
gemütlichen Tipi aus Holz konnte man sich beim Lagerfeuer aufwärmen und sich
vom Team des VP verpflegen lassen. Zudem hatte ich hier meinen Drop-Pack mit
zusätzlicher Ausrüstung deponieren lassen und ich lege noch eine zusätzliche
wärmende Schicht auf, dazu holte ich auch noch meine extra starke Stirnlampe
raus.
Schneetreiben in der Sonne bei Braunlage |
Das Weiterlaufen fiel schwer, es war Nacht geworden. Aber
nun war es nicht mehr weit, nur etwas weniger als ein Marathon war noch zu
laufen. Und das härteste Stück lag hinter mir. Ich hatte mich doch rund eine Viertelstunde in dem Tipi zum
Essen, Ausruhen und Umziehen aufgehalten. Meine GPS-Uhr war mittlerweile wieder
voll aufgeladen und ich hatte das lästige Ladekabel wieder verpacken können.
Nicht bewusst war mir aber, dass die Uhr durch meinen Tipi-Aufenthalt die
Satellitenverbindungen verloren hatte und mir die ersten Kilometer einige
Streiche gespielt hatte. Das führte dazu, dass ich einmal zu scharf rechts
abgebogen bin und dort auf einem breiten, abschüssigen Waldweg gut vorwärtskam, bis ich nach eineinhalb Kilometer feststellen musste, dass ich falsch war. Ein
Blick auf die Karte zeigte mir, dass es nicht unbedingt Wege zurück zur
Strecke gab und so musste ich die eineinhalb Kilometer wieder zurück, diesmal
bergauf. Ich wollte auch aus Sicherheitsgründen auf dem eigentlichen Weg bleiben.
Team am VP Jordanshöhe |
Wieder oben gab es einen schönen, einfach zu laufenden,
flachen Streckenabschnitt bis zum Oderteich. Der Mond war aufgegangen und fast
voll, was auch ein wenig half. Nach der Talsperre sah ich ein paar hundert
Meter vor mir immer wieder die Stirnlampen anderer Läufer, die wohl nach mir
von der Jordanshöhe gestartet waren. Ich sah Ihre Fußspuren auf den Brücken über
kleine Bäche oder auf den Holzplanken, die man über sehr matschige Wegpassagen
gelegt hatte. Ich musste sie doch gleich haben. Da vorne waren sie doch! Da war
es hell!!! Aber nein! Es war der Mond, der mich irritierte. Aber der Mond war
im Süden, ich musste doch Richtung Nordwesten. Mist, tatsächlich hatte ich mich
von der vermeintlichen Aufholjagd ablenken lassen und eine falsche Abzweigung
genommen, wieder 500 Meter zu viel, und nochmal zurück.
Es kam der letzte Anstieg, auf die Wolfswarte. Steinige Wege
ließen das Vorwärtskommen schwer werden. Oben wehte ein kalter Wind, so dass ich
die Aussicht über die Lichter der Dörfer in der Umgebung kaum genießen konnte. Bei
der Stempelstelle auf dem Gipfel musste ich als Beleg, dass ich nicht
unzulässig diesen Teil der Strecke abkürzte, das Übersichtsblatt mit den
Streckeninfos von Michael mit dem Wolfswarte-Stempel versehen.
Im vorletzten VP, im Gartenhäuschen des Hotels Sachsenross
in Altenau, habe ich dann wieder zu einigen Läufern aufgeschlossen. Leider
waren sie mir dann doch etwas zu schnell, und ich musste sie am Ortsausgang
davon ziehen lassen. Sehr schade, mit ihrem Geleit hätte ich dann noch zwei
ausgiebige Verlaufer vermeiden können. Der GPX-Track des Veranstalters war
wesentlich genauer als mein Orientierungssinn, auf den ich mich (zumindest
tagsüber) gut verlassen konnte.
Schließlich fand ich doch noch den Weg nach
Clausthal-Zellerfeld und war über die innerörtlichen Steigungen sehr
überrascht (wobei eine schon als „Wand“ angekündigt war). Den letzten VP dort
sah ich nicht und aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit und ausreichender
Trink-Reserven machte ich mich auch nicht auf die Suche.
Die letzten Kilometer nach Osterode standen an und zogen
sich. Noch ein paar Mal schickte mich die Strecke auf nette Single Trails, die
zum Teil auch noch schwer zu laufen waren. Aber man sah schon die Vororte. Ich war
dann froh, dass ich es bei beginnendem Vogelzwitschern dann doch im Rahmen der
Cut-Off-Zeit geschafft habe. Durch die Verlaufer waren doch fast 125 Kilometer
(statt der 109) zusammengekommen!!! Für das nächste Unternehmen dieser Art
sollte ich wohl doch technisch aufrüsten.
Stefan S.
Stefan S.